Vom Pilgern auf dem Jakobsweg – ein Vortragsabend mit Rebecca und Karl Helbig

Kein Husten, kein Flüstern, kein Rascheln – gebannt verfolgen die Zuhörer im Grünauer Pfarrsaal die Bilder vom Jakobsweg und lauschen der Stimme von Rebecca Helbig, die über ihre fünfmonatige Pilgerreise quer durch Europa von Moritzburg nach Santiago de Compostela berichtet. Der Pfarrsaal ist am Samstagabend, den 7. März 2020, nicht voll, aber voller Spannung.

Was bewegt eine junge Frau, ihren sicheren Arbeitsplatz aufzugeben und 152 Tage lang mehr als 3.000 km zu Fuß von Sachsen zum Grab des Heiligen Jakob nach Spanien zu wandern? Auf diese Frage, sagt Rebecca Helbig, weiß sie keine einfache Antwort. Sie habe es schlicht tun müssen: einen neuen Weg gehen, auf den Spuren anderer Gläubiger wandeln, Gottes Welt erkunden und eine neue Nähe zu ihm suchen.

Ihr Vortrag ist persönlich. Man sieht ein Foto ihrer Eltern, die mit ernstem und besorgten Blick ihrem Abschied entgegensehen. Rebecca Helbig schildert, wie sie auf dem ökumenischen Pilgerweg durch den Leipziger Auenwald kommt und in Merseburg in einem Kirchenschiff übernachtet. Sie berichtet von der Herzlichkeit, mit der sie mancherorts begrüßt wird. Auch die Traurigkeit, die sie beim Besuch des Konzentrationslagers Buchenwald überkommt, verschweigt sie nicht. Untermalt wird der Reisebericht vom Saxofon ihres Ehemannes, der gekonnt und unauffällig für die passende Begleitmusik und Begleitstimmung sorgt.

Das Auf und Ab einer Pilgerreise wird erfahrbar. Rebecca Helbig spricht von dem schönen Gefühl, als sie an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze bei Vacha steht und einfach weiterpilgern kann. Sie erzählt von der Freude, für ein paar Tage mit einer Schweizerin gemeinsam zu pilgerin, und von der schmerzlichen Trennung in Würzburg, als deren Beine nicht mehr mitmachen. Einprägsam sind manche Bilder des Weges, der über Ulm und Konstanz durch die Schweizer Alpen und durch Frankreich zu den Pyrenäen führt. Nicht weniger einprägsam sind die Erlebnisse, die Rebecca Helbig aus ihrem Pilgertagebuch vorliest. Man zuckt in dem gefährlichen Moment zusammen, als sie in Frankreich von einem Kettenhund angegriffen wird, und man erlebt den erhebenden Augenblick mit, als sie an einem Abend in einem spanischen Kloster ankommt und dem Choral der Mönche zuhört.

Auf der letzten Etappe von den Pyrenäen nach Santiago de Compostela wird der Pilgerweg voller. Viele prominente Wanderer wie Hape Kerkeling gehen nur dieses vierwöchige Stück. Die meisten Pilger haben mit dem steilen Aufstieg ins grüne Gebirge zu kämpfen, während Rebecca Helbig mittlerweile durchtrainiert die Schönheit der Bergwelt genießen kann. Danach wird der Weg staubiger und heißer. Immer mehr Pilger stoßen hinzu. Rebecca Helbig nennt die letzten Kilometer vor Santiago de Compostela eine „Pilgerautobahn“. Eindrucksvoll schildert sie ihre gemischten Gefühle, als sie in der Kathedrale des Heiligen Jakob ankommt. Die Kirche ist überfüllt. „Pilger für einen Tag“ drängen busweise hinein und sorgen für Unruhe. Erst als bei der Andacht der Weihrauch aufsteigt, kann bei ihr das Gefühl der Dankbarkeit dafür aufkommen, dass sie am Ziel angekommen und auf dem Weg Gott näher gekommen ist.

Auch die Zuhörer im Saal sind nach eineinhalb Stunden über das Happy End glücklich. Rebecca Helbig trifft am Ende ihrer Reise in Santiago de Compostela viele Pilger wieder, denen sie auf dem Weg begegnet ist. Nach ein paar Tagen geht sie – wie es einem alten Brauch entspricht – in Kap Finisterre ins Meer, um den Schweiß der Pilgerreise abzuwaschen. Anders als üblich verbrennt sie dort ihre Pilgerschuhe und ihre Pilgerkleidung nicht. Die hat sie in Grünau dabei und die können im Grünauer Pfarrsaal bestaunt werden, auch wenn die Pilgerreise nun schon mehrere Jahre zurückliegt. Damit endet ein beeindruckender Abend.

Dr. Richard Häußler