Hirtenwort zum ersten Fastensonntag, 1. März 2020

Liebe Schwestern und Brüder,

Ende Januar fand in Frankfurt die erste Vollversammlung des „Synodalen Weges“ statt. Ein Bild hat mich besonders beeindruckt: Hier saßen rund 220 Frauen und Männer in alphabetischer Reihenfolge an langen Tischreihen – darunter die Priester und Bischöfe. Für mich ein Zeichen, dass wir als pilgerndes Gottesvolk zusammengehören! Es ist ein Bild für das, was das altgriechische Wort „synodos“ bedeutet: ein gemeinsamer Weg. Ich bin sehr dankbar für diesen Auftakt und blicke hoffnungsvoll auf die kommenden zwei Jahre dieses Vorhabens, das die Deutsche Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) beschlossen haben.

Der „Synodale Weg“ beschäftigt viele Menschen in unserem Land und in unserem Bistum in ganz unterschiedlicher Weise. Daher habe ich mich entschieden, dieses Fastenhirtenwort zu nutzen, um mit Ihnen über die Synodalität als Grundhaltung für unser Miteinander nachzudenken.

Papst Franziskus hat uns in letzter Zeit bewusst gemacht: Die Kirche ist eine synodale Gemeinschaft, von Getauften, Gefirmten, Beauftragten, Gesandten, Geweihten. Synodalität „bedeutet, sich gemeinsam auf den Weg zu begeben mit der ganzen Kirche unter dem Licht des Heiligen Geistes, unter seiner Führung und seinem Aufrütteln, um das Hinhören zu lernen und den immer neuen Horizont zu erkennen, den er uns schenken möchte.“1 Wir dürfen darauf vertrauen, dass Gottes Geist in den Herzen derer wirken will, die ihn mit der Taufe und der Firmung in sich tragen. Im gemeinsamen Hören auf ihn und in der Unterscheidung der Geister werden wir den Weg finden, den er uns als Kirche führen will.

Der „Synodale Weg“ wurde als eine konkrete Reaktion auf die Krise der Kirche in Deutschland konzipiert. Wir erleben, dass sich die Relationen des Glaubens in Westeuropa verändern und wir neu Ausschau halten müssen, Gott zu suchen und zu finden. Keiner kann zudem über den Glaubwürdigkeitsverlust der vergangenen Jahre hinwegsehen, der seinen entsetzlichen Tiefpunkt im sexuellen Missbrauch und im Machtmissbrauch von Klerikern, Ordensleuten und kirchlichen Mitarbeitern fand. Viele damit verbundene Themen stehen nicht erst seit kurzem auf dem Prüfstand, haben aber nochmals an Bedeutung gewonnen. Oft wird dabei die Frage nach der Lebensform unserer Priester gestellt, dabei geht es auch um die Ehelosigkeit. Im Raum steht ebenso, ob und wie Frauen am Weiheamt teilhaben können. Und es beschäftigt uns, wie Frauen und Männer an der Leitung der Kirche partizipieren können. Nicht zuletzt stellt sich die Frage, wie wir aus der Botschaft des Evangeliums heraus Leben in gelingenden Ehen, Familien und Beziehungen fördern können.

Mutig die anstehenden Themenkomplexe des Synodalen Weges aufzuarbeiten wird uns helfen, die Frohe Botschaft von Jesus Christus glaubwürdig verkünden zu können.

Die Beratungen des Synodalen Weges haben bereits erkennen lassen, dass es dabei ein breites Spektrum der Meinungen, Positionen und Überzeugungen gibt. Was jedoch meiner Wahrnehmung nach alle Synodalen in ihrem Ringen eint, ist der Glaube an Jesus Christus, die Liebe zur Kirche und die Hoffnung, überzeugend in unsere Gesellschaft hinein evangelisierend zu wirken.

Ich bin davon überzeugt, dass der Stil der Synodalität für unsere kirchlichen Strukturen und Prozesse von erheblicher Bedeutung sein wird, weit über den Synodalen Weg hinaus. Von ihm wird eine Signalwirkung für unser Miteinander in unserem Bistum wie auch für das Miteinander in unseren Pfarreien, Gemeinschaften und Gruppen ausgehen.2 Die begonnene österliche Bußzeit lädt uns ein, auch in den Familien, Ehen und Partnerschaften Elemente der Synodalität konkret werden zu lassen, wie sie uns Papst Franziskus vorschlägt:

1. Einüben ins Hören. 2. Einüben ins Deuten und 3. Einüben ins Handeln.

1. Einüben ins Hören

Zuhören geschieht oft halbherzig. Ich ertappe mich selbst immer wieder
dabei, dass ich schon, während die andere Person noch spricht, weiterdenke oder mir meine Antwort zurechtlege. Doch Hören meint mehr: Mein Gegenüber wahrzunehmen, ganz präsent und offen für ihn zu sein und für das, was er mir sagen will. Sagt mir der andere etwas Wichtiges, Richtiges, was ich bisher nicht im Blick hatte? Und sind wir bereit, vom anderen ernsthaft etwas lernen zu wollen? Ein Zuhören in der Bereitschaft, mich verändern zu lassen, kann auch sehr anstrengend sein. Aber für eine neue Perspektive, die weiterführt, lohnt es sich!

Diese Haltung braucht es auch Gott gegenüber. Eine schlichte wie
beeindruckende Bronzefigur mit dem Titel „Der Hörende“ von Toni Zenz
drückt diese Grundhaltung bildlich aus. Stellen Sie sich eine Person vor, die
den Kopf leicht in den Nacken gelegt hat, die Augen sind weit geöffnet und
nach oben gerichtet, die Hände hält er um die Ohrmuscheln, um besser zu
hören, der Mund ist geschlossen. Mich erinnert diese Skulptur daran, dass der Mensch mit allen Sinnen „ganz Ohr“ sein darf für Gott und das, was er uns sagen will. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es Zeit und Muße braucht, in dieser Haltung zu verweilen und die oft zarten und unscheinbaren Worte und Zeichen von Gott zu hören. Die Bronzefigur zeigt mir deutlich: Auch das stille Verweilen vor Gott ist eine Form des Gebets. Vielleicht begleitet Sie die Haltungen des „Hörenden“.

2. Einüben ins Deuten

Was wir hören, was wir aufnehmen, bedarf einer Deutung. Wir
unterscheiden, was in unseren Wünschen, in unserem Denken und in den
Zeichen unserer Zeit der Wille Gottes für uns ist und was nicht. Wir stellen
uns dieser Frage, weil wir glauben, dass Gott das Beste für uns will.
Antworten können gelingen, wenn wir sie aus der Begegnung mit Gott in den Sakramenten und im Wort der Heiligen Schrift verstehen. Heute lesen wir im Evangelium: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt.“ (Mt 4,4)

Anlässlich der Neugründungen der Pfarreien machten sich die
Verantwortungsgemeinschaften intensiv auf die Suche nach einem Wort der Heiligen Schrift als Grundlage für ihren biblisch begründeten Auftrag. Jede neue Pfarrei hat bisher ein anderes, sehr bezeichnendes und inspirierendes Wort gefunden. Wenn dieses zur Basis für das Miteinander wird, das Leben der Pfarrei wie des Einzelnen inspiriert und letztlich durch Gottes Geist auch führt, dann wächst hier eine synodale Kirche.

Haben wir dabei keine Angst vor der Verschiedenheit der Meinungen und
der Lebhaftigkeit der Debatte. Verschiedenheit ist Reichtum, keine
Bedrohung. Kämpfen wir nicht gegeneinander, sondern äußern wir mit
Respekt das, was wir im Bewusstsein des Heiligen Geistes als nützlich für
die gemeinschaftliche Unterscheidung wahrnehmen. Zugleich sollten wir
offen dafür sein, das anzunehmen, was den anderen von demselben Geist
Gottes angeraten wird. Dann brauchen wir nicht zu bangen, dann kann auch gestritten und gerungen werden!

3. Einüben ins Handeln

Das Wort Gottes ist keine Verzierung unseres Lebens, kein schmückendes
Beiwerk. Vielmehr mahnt der Apostel Jakobus: „Hört das Wort nicht nur an,
sondern handelt danach.“ (Jak 1,22) Dabei hilft uns der Heilige Geist, er
zeigt und lehrt uns in der Unterscheidung der Geister, er hilft uns zu
erkennen, was gut oder böse ist, was zu einer größeren Gemeinschaft oder
was zur Spaltung führt. Gottes Geist führt in ein größeres, tieferes und
frohmachendes Miteinander. Er hilft, Einheit nicht mit Gleichschaltung oder Uniformität zu verwechseln und die Unterschiedlichkeiten auszuhalten. Bleiben wir beieinander!

Liebe Schwestern und Brüder, ich möchte Ihnen für diese Österliche Bußzeit ans Herz legen, diese drei Schritte auszuprobieren oder sie zu vertiefen. Ich ermutige Sie, in Ihren Lebenskontexten ganz konkret zu werden: Neu aufeinander und auf Gott zu hören, die Heilige Schrift deutend zu lesen und daraus zu handeln. Unser Alltag bietet unzählige Chancen dafür, sie gilt es zu entdecken!

Ein zweites, genauso gewichtiges Anliegen möchte ich Ihnen anvertrauen: Beten Sie um Gottes Geist für ein Gelingen des Synodalen Weges. Bringen Sie sich konkret mit Ihrer Perspektive ein. Gemeinsam mit den Synodalen aus unserem Bistum werde ich in den kommenden Monaten in die Dekanate zu Gesprächsforen kommen und hoffe darauf, mit Ihnen an diesen Abenden Synodalität mit Leben zu erfüllen.

Für diese Österliche Bußzeit, für alle Umkehr, alles Um- und Neudenken, erbitte ich Ihnen den Beistand des dreifaltigen Gottes, des Vaters und des Sohnes + und des Heiligen Geistes. Amen.

Ihr
Heinrich Timmerevers
Bischof von Dresden-Meißen


1 Brief von Papst Franziskus an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland, 29. Juni 2019, hrsg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (VApS 220), Bonn 2019, Nr. 3.

2 Ich empfehle ausdrücklich in den Räten und Gremien unserer Gemeinden die weiterführende Auseinandersetzung mit dem Dokument der Internationalen Theologischen Kommission, Die Synodalität in Leben und Sendung der Kirche, hrsg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (VApS 215), Bonn 2018.

Der Hirtenbrief im Original